Kann man Gott beweisen?

von Jonas Leister

Das Phänomen der physikalischen Feinabstimmung ist ein Phänomen in Teilchenphysik und Kosmologie, das seit den 1980er Jahren untersucht wird und aufgrund seiner extravaganten Schlussfolgerungen auch außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses Bekanntheit erlangt hat. So schließen Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Antwortmöglich­keiten wahlweise auf die Existenz eines Multiversums oder auf die Existenz Gottes.

Gerade in der Theologie hat sich dieses Phänomen als zurzeit vielversprechendste Variante des sogenannten „teleologischen Gottesbeweises“ herauskristallisiert – einer Art von Gottesbeweis, der allein durch empirische Beobachtung und mit den Mitteln der Naturwissenschaften für die Existenz Gottes argumentiert.

Aber was ist eigentlich genau unter dem Begriff der „Feinabstimmung“ zu verstehen – und welche philosophischen (und theologischen) Erklärungen können für dieses Phänomen vorgebracht werden?

Was hat Kuchen mit Feinabstimmung zu tun?

Zwar handelt es sich bei den konkreten Untersuchungen aus der Physik über die Feinabstimmung um physikalische Naturkonstanten, die Entstehung von Sternen, den kosmologischen Urknall und deren Zusammenhänge mit lebensfreundlichen Bedingungen. Um aber ein anschauliches Modell für diese komplexen Sachverhalte zu finden, müssen wir weder zum Mond fliegen noch uns den Urknall in vier Dimensionen vorstellen, es reicht ein Gang in die Küche. Stellen wir uns vor, wir öffnen die Küchentüre und finden auf dem Küchentisch einen gebackenen Kuchen vor. Da er schon angeschnitten ist, nehmen wir uns ein Stück und befinden ihn als durchgebacken.

Nun fragen wir aber weiter: Was lässt sich aus der Beobachtung eines Kuchens über dessen Entstehung lernen? Ein wenig Nachforschen offenbart uns, dass es sich beim Kuchenbacken um einen feinab­gestimmten Prozess im folgenden Sinne handelt: Kennt man die Grundzutaten des Kuchens, so braucht es ein sehr präzises Verhältnis aller Zutaten zueinander, dass am Ende ein leckerer Kuchen aus dem Ofen kommt. Schon das Verhältnis zwischen Backpulver, Mehl und Zucker kann nicht beliebig verändert werden, ohne dass in den allermeisten Fällen etwas herauskommt, das weder wie ein Kuchen aussieht noch bekömmlich ist.

Darüber hinaus gilt: Ist das Verhältnis zwischen trockenen und feuchten Zutaten nicht innerhalb eines kleinen Bereichs aufeinander abgestimmt, so fehlt dem Backversuch später jede Konsistenz. Betrachtet man mögliche Konstellationen zwischen allen trockenen und allen feuchten Kuchenzutaten, so lässt nur eine kleine Auswahl aus allen möglichen Kombinationen einen stabilen und saftigen Kuchen entstehen.

In einem ersten Schritt haben wir also gelernt: Bei Kuchenbacken handelt es sich um einen feinabgestimmten Prozess in der Hinsicht, dass nur ein kleiner Bereich aller möglicher Werte der Grundzutaten als Endresultat einen saftigen Kuchen ermöglicht.

Da wir zudem den fertig gebackenen Kuchen vor uns haben, können wir nun nach möglichen Erklärungen für die Existenz dieses Kuchens  suchen. Ein einmaliges zufälliges Zusammenmischen von beliebigen Zutaten fällt als Erklärung jedenfalls aus. Analog zum physikalischen Feinabstimmungsphänomen kommen die folgenden Erklärungsmöglichkeiten in Frage: Die naheliegendste wäre einfach die Existenz einer Bäckerin, die den Kuchen im Vorfeld „geplant“ hat. Obwohl wir womöglich weder ein Rezept noch eine Bäckerin zu Gesicht bekommen, haben wir ja das Backresultat vor Augen und können deshalb auf die Existenz einer Bäckerin schließen.

Eine andere Möglichkeit wäre die Existenz sehr vieler Backversuche. Vielleicht – so spinnen wir den Gedanken weiter – gibt es gar weder eine Bäckerin noch ein Rezept, sondern die Zutaten wurden von einem spielenden Kind einfach zufällig zusammengemischt. Jedes Mal, wenn kein schmackhaftes Endprodukt herausgekommen war, verschwand der Versuch flugs im Mülleimer. Erst als nach vielen Versuchen ein wohlschmeckender Kuchen entstand, wurde dieser Zufallsprozess abgebrochen und uns das fertige Resultat angeboten. Der Rückschluss auf eine Bäckerin wäre in diesem Fall fehl am Platz.

Oder – so lassen wir unserer Fantasie weiter freien Lauf – vielleicht ist die Existenz einer Bäckerin auch aus anderen Gründen gänzlich überflüssig. Ja, vielleicht gibt es eine Art von Fertigbackmischung, sodass der Backversuch auch ohne Fachkraft in jedem Fall erfolgreich ist. Genaueres Nachforschen könnte uns ja dazu führen, dass es sich keineswegs um einen unwahrscheinlichen Prozess handelt, der das Vorhandensein einer Bäckerin nötig macht. Vielmehr würde eine genauere Kenntnis des Backprozesses offenbaren, dass es von vornherein nur je eine einzige Möglichkeit für die Mengenverhältnisse der einzelnen Zutaten gab. Etwa, weil alles in vorgefertigten Tütchen bereits abgewogen auf der Küchenplatte steht, der Ofen nur eine Hitzestufe kennt, das Kind ohnehin nichts abwiegen musste und entsprechend auch nichts hätte falsch machen können. Eine Bäckerin wäre für diesen Fall ebenfalls überflüssig.

Die je unterschiedlichen Erklärungen für den fertig gebackenen Kuchen spiegeln unterschiedliche Denkansätze bezüglich des Feinabstimmungsphänomens wider.

Übertragung auf das Phänomen der Feinabstimmung

„Physikalische Feinabstimmung auf Leben“ bedeutet, dass die  Wahrscheinlichkeit für lebensfreundliche Werte der physikalischen Naturkonstanten und für weitere lebensfreundliche Bedingungen zur Zeit des Urknalls überaus gering war. Übertragen auf unsere Kuchen-Analogie heißt das: Bei der Entstehung von Leben in unserem Universum handelt es sich – ähnlich wie beim Kuchenbacken – um einen feinabgestimmten Prozess. Beim physikalischen Feinabstimmungsphänomen handelt es sich um ein mit naturwissenschaftlichen Mitteln ausgiebig erforschtes Phänomen. Dass Feinabstimmung der Naturkonstanten vorliegt, darin sind sich alle Forschenden einig.

Statt eines Kuchens beobachten Kosmologinnen und Kosmologen kurz nach dem Urknall lebensfreundliche Bedingungen. Diese Bedingungen zeigen an, dass Leben in Zukunft einmal möglich sein wird.  Denn ähnlich wie beim Kuchenbacken ein falsches Verhältnis zwischen Backpulver und Mehl schon sehr schnell offenbart, dass das Resultat nie ein Kuchen werden kann, können Physikerinnen und Physiker bereits kurz nach der Entstehung des Universums aus den Naturkonstanten und kosmologischen Anfangsbedingungen herauslesen, ob später einmal Leben möglich sein wird oder nicht. Denn egal, ob es sich bei „Leben“ um Menschen, Delfine oder Einzeller handelt, alle Arten brauchen etwa Wärme, Licht und die Existenz von zusammengesetzten Molekülen.

In die Kosmologie übersetzt müssen die Anfangsbedingungen somit immerhin einmal die Möglichkeit für Sterne, eine bestimmte Teilchendichte oder höherwertige Atome des Periodensystems bieten. Bereits diese rudimentären Anforderungen zeigen aber, dass es sich bei lebensfreundlichen Bedingungen um ein logisch betrachtet ziemlich unwahrscheinliches Phänomen handelt. Statt die Menge an Mehl und Eiern oder die Ofentemperatur zu variieren, verändert die Physik die Massen aller Elementarteilchen oder das Verhältnis zwischen Gravitations- und elektromagnetischer Kraft. Genauso wie in unserer Analogie stellt man dabei fest: Die Existenz von lebensfreundlichen Werten der Naturkonstanten trifft nicht ohne Weiteres zu, vielmehr handelt es sich um eine sehr unwahrscheinliche Konstellation. Die Antworten auf die Existenz dieses Phänomens gehen jedoch weit auseinander. Bei der Suche nach Antworten verlassen wir schnell den Bereich der Empirie und treten in die Metaphysik ein.

Die unterschiedlichen Erklärungsansätze

Analog zum Kuchenbacken wird im Rahmen der Philosophie über die möglichen Erklärungsansätze (a) Planung, (b) Multiversum oder (c) rein kausale Erklärung diskutiert.

Bevor wir uns diesen Erklärungen im Einzelnen widmen, räumen wir noch kurz ein populärwissenschaftliches Missverständnis aus, das sich leider auch innerhalb der Physik hartnäckig hält. Die Antwort „Das ist alles Zufall und muss gar nicht erklärt werden!“ ist nämlich nur scheinbar überzeugend. Gerade weil es sich bei Feinabstimmung um ein unwahrscheinliches Phänomen handelt und zudem andere Erklärungsalternativen als der reine Zufall überzeugender sind, offenbart der Verweis auf den „Zufall“ eher Denkfaulheit. Im Rahmen der Diskussion um das Feinabstimmungsphänomen gibt man dieser vermeintlichen Erklärung den schillernden Namen „Anthropisches Prinzip“. Eine Antwort auf die relevante Frage, warum lebensfreundliche statt lebensfeindlicher Werte der Naturkonstanten existieren, bleiben aber alle Varianten dieser Erklärung schuldig.

Erklärung (a) – ein göttlicher Planer als überzeugende Erklärung

Ähnlich wie bei der Kuchen-Analogie zeigt sich in der wissenschaftstheoretischen Diskussion um die Feinabstimmung, dass die Existenz eines Planers, der zum Zeitpunkt des Urknalls an der Hervorbringung von Leben Interesse hatte, eine überzeugende Erklärung für die Feinabstimmung ist. Alle Einwände, die gegen die Überzeugungskraft dieses Erklärungsansatzes vorgebracht werden, sind letzten Endes nicht stichhaltig. Allerdings ist damit nicht bereits automatisch die Existenz Gottes bewiesen. Zum einen ist nicht klar, ob es neben der Erklärung durch einen Planer nicht auch andere Erklärungen gibt, die vielleicht sogar überzeugender sind. Zum anderen sollten wir genau hinschauen, was unter dem Namen „Gott“ als Erklärung der Feinabstimmung zu verstehen ist. In diesem Artikel möchte ich dafür argumentieren, dass die Planungshypothese die einzige und allein überzeugende Erklärung der Feinabstimmung ist. Denn es wird sich zeigen: Alle anderen Erklärungen führen in letzter Konsequenz wieder zur Annahme einer Planung zurück.

Als alternative Erklärungen für das Phänomen der Feinabstimmung liegen die Hypothesen eines Multiversums und einer endgültigen kausalen Erklärung vor. Ich stelle diesen beiden Erklärungsansätze im Folgenden kurz vor und nenne je einen Aspekt, der aus wissenschaftstheoretischen Gründen dazu beiträgt, dass die Planungshypothese dennoch erklärungsnotwendig bleibt.

Erklärung (b) – ein Multiversum

Als eine Konkurrenzerklärung zu Planungshypothese bietet sich das Konzept des Multiversums an. Analog zu den vielen Versuchen, einen schmackhaften Kuchen zu backen, könnte auch unser Universum nur ein kleiner Ausschnitt eines viel größeren Multiversums sein. Wären zudem die Naturkonstanten gar nicht konstant, sondern würden von Ort zu Ort variieren, so entständen auch ohne Planung Bereiche, in denen die Bedingungen für biologisches Leben optimal wären.

Gemäß Vertretern einer Multiversumstheorie befinden wir uns in genau dieser Situation. Laut ihnen gibt es viele andere Universen außerhalb unseres sichtbaren Universums, in denen sich die Werte der Naturkonstanten und Anfangsbedingungen zum Teil erheblich von unseren unterscheiden. Würden diese Werte jedoch stark genug variieren, so würde bei der Entstehung des Multiversums stets
irgendein Ort entstehen, der durchweg lebensfreundliche Bedingungen hätte. Die Existenz von
lebensfreundlichen Naturkonstanten wäre somit auch ohne einen planenden Gott erklärt.

Aber ist diese Erklärung von der empirischen Warte aus überzeugend? Natürlich lässt sich die Existenz eines solchen Multiversums nicht ohne Weiteres widerlegen. Zudem liefert diese Option tatsächlich auch eine überzeugende Erklärung. Ihr Problem ist jedoch ihr empirischer Status. Wer nämlich eine solche Hypothese aufstellt, ist selbst in der Beweispflicht. Für die Existenz eines Multiversums müsste der empirische Nachweis anderer Werte mindestens einer Naturkonstante erbracht werden.

Ein solcher Nachweis steht jedoch bis heute aus. Die Behauptung, dass ein Multiversum existieren würde, ist in Anbetracht des gegenwärtigen Forschungsstandes der Kosmologie deshalb reine Fantasie. Damit lassen sich vielleicht Science-Fiction-Fans beeindrucken, aber nicht der nüchtern analysierende Empiriker. Letzterer wird sich nur durch einen empirischen Nachweis einer Vielzahl an Werten ein und derselben Naturkonstante überzeugen lassen.

Neben der fehlenden Empirie gibt es an das Konzept „Multiversum“ auch grundlegende Anfragen. Diese im Einzelnen darzulegen, würde den Rahmen dieses Artikels leider sprengen. Wichtig für uns ist hierbei vorrangig der Fakt, dass selbst die Existenz eines Multiversums nicht frei von aller Feinabstimmung wäre. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde sich für diesen Fall die Feinabstimmung nur auf eine andere Ebene verschieben. Hierbei handelt es sich um eine Ebene von Feinabstimmung, für die dann ausschließlich die Planungserklärung eine überzeugende Antwort liefern kann. Selbst wenn sich in Zukunft ein Multiversum nachweisen ließe, wäre es somit dennoch ein Triumph der Planungshypothese als Erklärung der physikalischen Feinabstimmung.

Erklärung (c) – eine endgültige Kausaltheorie

Der Grundgedanke dieser Erklärung ist, dass ein tieferes physikalisches Verständnis der Naturkonstanten und des Urknalls „ganz von selbst“ eine überzeugende Erklärung für die Feinabstimmung liefern wird. Gemäß dieser Erklärung gibt es nämlich für jede Naturkonstante und jede kosmologische Anfangsbedingung einen innerphysikalischen Grund, warum der jeweilige Wert gerade so groß ist, wie er nun einmal ist. Das Problem der Feinabstimmung ist nur so lange ein Problem, bis wir jeden dieser Gründe durch empirische Forschung entdecken.

Interessanterweise ist diese Option von allen Erklärungsmöglichkeiten am wenigsten weit erforscht. Es scheint zumindest so, als ob von Seiten der Physik zurzeit nicht viel Hoffnung in einen Erfolg dieser Option gesetzt wird. Und das, obwohl sie dem naturwissenschaftlichen Forschergeist eigentlich am nächsten liegen sollte.

Ich finde diese Erklärung ausgesprochen reizvoll und gerade der erfolgreiche Einbezug einer zukünftig umfassenden Kausalerklärung in die Planungshypothese hat mir gezeigt, dass es sich bei der Feinabstimmung der Naturkonstanten nicht um naturwissenschaftlich wenig überzeugende Erklärungen im Sinne eines amerikanischen Kreationismus handeln muss.

So gilt für das Feinabstimmungsphänomen: Gerade das Auffinden einer endgültigen Kausaltheorie macht die Hypothese einer zugrundeliegenden Planung umso notwendiger. Ich erspare uns die sehr technischen Details für diese Begründung, sondern verweise nochmals auf die Intuition des Kuchenbackens: Das Auffinden eines Rezeptes macht die Existenz einer Bäckerin nicht überflüssig, sondern verweist verstärkt auf die Erklärung durch Planung. Das Auffinden einer besseren Kausalerklärung verschiebt die Feinabstimmung nur, ohne sie endgültig zu erklären.

Fazit und Ausblick

Wir haben in diesem Artikel gesehen, dass die Planungshypothese eine überzeugende und solide Erklärung auf das physikalische Phänomen der Feinabstimmung liefert. Überzeugend vor allem deshalb, weil durch den Vergleich mit absichtsvoller Planung durch intelligente Akteure, eine robuste Analogie zu menschlichen Handlungen besteht. Da wir aber solche menschliche Planung als zufriedenstellende Erklärung für unwahrscheinliche Sachverhalte nutzen, müssen wir analog auch übermenschliche Planung als überzeugende Antwortmöglichkeit ansehen. Die Erklärung ist zudem solide, weil jede andere Erklärungsoption für Feinabstimmung früher oder später auch Planung zurückgreifen muss. Auch zukünftige empirische Forschung in diesem Bereich wird mit hoher Sicherheit eine Version der Planungshypothese bestätigen.