Integrität am Arbeitsplatz

ein Interview mit Maike Moore


Maike Moore hat Jura sowie Economics and Law studiert und war danach in einer großen Beratungsfirma tätig. Mittlerweile hat sie sich selbstständig gemacht und unterstützt visionäre Unternehmen, Start-Ups und Non-Profits dabei, ihre Ideen umzusetzen.  

Maike, du hast als Praktikantin viele Unternehmen von innen gesehen und 10 Jahre in einer großen Beratungsfirma gearbeitet. Integrität am Arbeitsplatz – geht das überhaupt?

Ich finde es ist ein Vorurteil, dass „die Wirtschaft“ an sich moralisch verwerflich oder nicht integer sei. Unternehmen müssen Gewinn machen, um zu überleben und natürlich gibt es dort Menschen, die nur dem Gewinn nachjagen und dabei Werte wie Integrität nicht berücksichtigen. 

Ich weiß noch, einer der ersten Sätze in meinen ersten Tagen als Praktikantin war: „Wir entschuldigen uns nicht.“ Uns war ein Fehler unterlaufen und ich sollte die Kunden in einer E-Mail darüber informieren. Diese Anweisung hat mir den Eindruck gegeben, dass man davon ausging, dass wir keine Fehler machen bzw. diese dann nicht zugeben. Das hat mich schon ein bisschen überrascht.  

Aber ich habe es persönlich nie erlebt, dass die christlichen Werte oder Integrität völlig über den Haufen geworfen wurden. Ich weiß aber aus Gesprächen mit anderen, dass das keine Selbstverständlichkeit ist.  

Die Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, waren ehrlich, transparent und aufrichtig. Mir wurde bei meinem Berufseinstieg zum Beispiel gesagt: „Wenn du Geld verdienen willst, dann bleib nicht hier.“ Es wurde nichts schöngeredet. Die Einstiegsgehälter waren einfach nicht so hoch wie in der Industrie.  

Und auf der anderen Seite ist es ja durchaus auch so, dass die Kirchen und christlichen Organisationen hier in Deutschland meines Erachtens nicht unbedingt immer die besten Vorbilder sind, wenn es um Integrität und Nächstenliebe geht. Wenn ich mir manche davon anschaue, würde ich sagen, dass mein Unternehmen, mein Team, teilweise christlicher war als einige Gemeinden und Organisationen. Ein Beispiel: Wenn ich nicht die Leistung erbracht habe, die man sich vorgestellt hat, wurde mir das gesagt. Im christlichen Umfeld wird das manchmal mit dem Argument der Nächstenliebe nicht erwähnt. Aber warum eigentlich? Gott selbst hat Menschen auf ihr Fehlverhalten hingewiesen, weil er wollte, dass sie davon lernen. Nichts zu sagen, hat also nicht immer was mit Nächstenliebe zu tun, sondern kann das Gegenteil bedeuten. Man kann dann noch über die Art und Weise des Feedbacks sprechen, aber Kritik an sich ist nach meinem Verständnis ein Ausdruck von Nächstenliebe, wenn es mit der richtigen Motivation geschieht. 

Du findest also, dass Integrität und christliche Werte kein Ding der Unmöglichkeit sind. Wo wird das für dich relevant?  

Ich finde, oft sind das gar nicht die „großen“ Dinge. Es geht eher um ganz konkrete Alltagssituationen. Neulich habe ich mit einer Frau gesprochen, die in einem Kiosk arbeitet. Ihr Chef hat entschieden, den Kiosk auch sonntags zu öffnen, obwohl das in diesem Fall rechtlich nicht erlaubt ist. Und wie gehst du damit als Christin oder Christ um? Du machst etwas Illegales in dem Moment, in dem du in diesem Kiosk stehst. Die Antwort ist nicht leicht: Sie verliert vielleicht ihren Job, wenn sie hier zu ihren Werten steht.  

Es gibt noch andere Herausforderungen, die ich oft höre und selbst erlebt habe: Wie gehe ich damit um, wenn ich schlecht behandelt werde? Was ist mein Maßstab dafür, wie ich mit den Menschen umgehe? Was mache ich, wenn ich Ungerechtigkeit erlebe – mir oder meinen Kollegen gegenüber? Und auch hier gibt es nicht die eine richtige Antwort. Ich habe mir immer meine Werte vor Augen gehalten: Ehrlichkeit, Transparenz, Respekt, Hoffnung – um einige zu nennen. Außerdem wusste ich immer, dass mein eigener Wert nicht dadurch bestimmt wird, was meine Kolleginnen und Kollegen über mich denken oder sagen. Sie wussten aber, was mir wichtig ist und woran sie sind. Das hat einen guten Rahmen geschaffen, um diese Werte zu leben.

Gab es für dich persönlich einen Moment, wo du im Zwiespalt ­gewesen bist zwischen deinen eigenen Werten und dem, was beruflich von dir verlangt wurde? 

Das war vor allem dann der Fall, wenn es um die Mandanten und unsere Mandantenbeziehung ging. In unserem Team wurde, wie schon erwähnt, Ehrlichkeit und Direktheit sehr geschätzt, aber gegenüber Kundinnen und Kunden war das teilweise herausfordernd. Es wird immer gerne gesagt, man kann alles und das ist alles überhaupt kein Problem – auch wenn es das eigentlich war. Aber man hat es nicht zugegeben. Irgendwie bekommt man es schon hin, wenn es gewünscht wird.  

Mir hat mal ein Lehrer gesagt: „Du könntest einem Eskimo einen Kühlschrank verkaufen!“ Aber da habe ich mich dann gefragt: Will ich das denn überhaupt? Der braucht den doch gar nicht. Nur weil ich etwas kann, muss ich es nicht machen. Das wäre sehr kurzfristig gedacht. Denn jemand, der etwas bekommt, was er eigentlich nicht braucht, und das dann feststellt, kommt möglicherweise nicht mehr zu mir. Das Vertrauen ist gebrochen.

Wenn du direkt und ehrlich gewesen bist, wie war da das Feedback für deine klare Haltung? 

Ich habe damit eigentlich nie schlechte Erfahrungen gemacht. Mein Team kannte meine Werte. Und dafür wurde ich in meinem Berufsleben sehr geschätzt. 

Ich weiß aber noch, dass ich in meiner Schulzeit einmal ganz schön angeeckt bin. Wir haben mit der Klasse an einem Wettbewerb teilgenommen. Das war etwas richtig Großes, ein Landeswettbewerb. Und leider haben wir nicht gewonnen. Da hieß es dann bei uns, das andere Team hätte nur gewonnen, weil die Mutter eines Schülers Einfluss hatte. Und ich dachte mir: Nein, das stimmt nicht – wir waren einfach nicht gut genug. Ich bin dann zu unserem Lehrer gegangen und habe ihm gesagt, dass ich das nicht gut fand, wie über das andere Team geredet wurde. Sie waren nun mal einfach deutlich besser und hatten den Sieg verdient. Ich hatte danach dann nicht so schöne 48 Stunden in der Schule. 

So etwas ist mir zum Beispiel im Berufsleben nie passiert. Meiner Erfahrung nach müssen aber zwei Dinge zusammenkommen: fachliche und persönliche Kompetenz. Wenn man gut ist und gleichzeitig als Mensch glaubwürdig und authentisch, dann kann man auch Grenzen setzen und für seine Werte einstehen. Wenn die Kolleginnen und Kollegen mich als jemanden erleben, der fleißig, verlässlich und freundlich ist, dann schätzen sie diese Klarheit, weil sie wissen, dass das nicht nur heiße Luft ist, sondern wirklich mit Leben gefüllt wird. Wenn man hohe Ansprüche an Werte hat, muss man sich selbst auch daran messen und messen lassen.

In dem, was du gerade gesagt hast, klingt das Stichwort „Exzellenz“ mit an – etwas, das man häufig hört, wenn es um Erfolg im Berufsleben geht. Was verbindest du mit diesem Begriff? 

Ich habe ehrlich gesagt lange damit gehadert. Ich hatte ein Problem damit, exzellent zu sein oder Exzellenz zu fordern. Es hat oft etwas Negatives, fast schon Herzloses. Irgendwann kam mir dann der Gedanke: Gott hat mir Gaben und Fähigkeiten gegeben, und wenn ich die einsetze, und zwar an der Stelle, wo er mich haben will, dann bin ich fast automatisch exzellent, weil ich richtig bin und Gott mich ausrüstet mit dem, was ich brauche. Da kommen die Ideen, wie man Dinge besser macht oder ganz neu angehen kann. Man setzt es um und merkt: Es war richtig gut! In solchen Situationen ist für mich klar: Das sind nicht meine Ideen und nicht meine Exzellenz, sondern Gottes Weisheit, seine Erkenntnis und Exzellenz und Kreativität, und er nutzt mich einfach nur an dem Ort, wo ich bin. 

Und ich glaube, wenn ich exzellent bin, dann bin ich auch glaubwürdig. Und dann habe ich, wie gesagt, auch die Möglichkeit, mein Umfeld zu gestalten und mich für meine Werte einzusetzen. Du bist selbst Christin. 

Welche Gestaltungsspielräume siehst du als Christin, wenn es darum geht, deinen Glauben auch in deinem Beruf relevant sein zu lassen?

Echte Beziehungen zu leben. Ich habe mich damals bewusst dafür entschieden, in die Wirtschaft zu gehen, weil ich gesagt habe, die Leute kommen nicht in die Kirche. Unzählige Christinnen und Christen reisen in irgendwelche exotischen Länder, um dort von ihrem Glauben zu erzählen. Was auch gut ist. Aber hier in Deutschland, in unseren Unternehmen, da gibt es auch Menschen, die noch nichts von Jesus gehört haben. Ich möchte den Menschen begegnen, wie Jesus Menschen begegnet ist: Es ging um die Menschen. Nicht um die Sache. Ich will die Leute verstehen, wo sie sind und was sie beschäftigt. Was sind die Fragen, die sie umtreiben? Mit welchen Problemen haben sie zu kämpfen?  Das heißt auch nicht, dass man sich während der Arbeitszeit nur noch um die zwischenmenschlichen Kontakte kümmern soll und gar nicht mehr arbeitet, aber ich glaube, diese Art von Beziehung kann wirklich etwas verändern.

Ich hatte mal eine Kollegin, wenn ich mit der einen Termin von einer halben Stunde vereinbart hatte, dann haben wir oft 20 Minuten gequatscht und ich habe mir ihre ganze Lebensgeschichte angehört. Wir haben dann im Anschluss nur 5 bis 10 Minuten geplant, aber es war okay. Und ich habe gemerkt: Sie hat das gebraucht. Es war gut, da zu sein und den Raum zu haben und nicht immer die Arbeit und das zu sehen, was getan werden muss, sondern den Menschen mir gegenüber. 

Auf diese Weise kann ich mein berufliches Umfeld genauso gestalten, wie wenn ich für meine Werte einstehe und integer handele. Und ich glaube, dass das einen wirklich bedeutsamen Unterschied machen kann. 

Außerdem habe ich erlebt, dass Gott die besten Ideen hat. Mit ihm zusammen zu arbeiten, hat so vieles erleichtert, schneller vorangebracht und mich vor einigem bewahrt.

Inwiefern haben diese Gestaltungsspielräume eine Rolle bei deiner Entscheidung gespielt, dich selbstständig zu machen?

Zum einen hat mich die Vorstellung gereizt, mehr Freiheit im Umgang mit meinen Kundinnen und Kunden zu haben: sich Zeit zu nehmen, genau hinzuhören, um herauszufinden, wo wirklich das Problem ist und das dann zu lösen.  

Meine Vision ist es auch, andere Christinnen und Christen dazu zu ermutigen, wirklich bewusst an ihrem Platz in der Gesellschaft zu wirken. Nicht jeder, der das möchte, muss ja für eine Non-Profit-Organisation oder ein christliches Werk arbeiten. Es gibt Statistiken, die besagen, dass rund 70% der jungen Christinnen und Christen in der Phase des Berufseinstiegs ihre Verbindung zur Kirche und ihren Glauben verlieren. Und daran würde ich gerne etwas ändern: Ich möchte eine Art Trainee-Programm starten, wo junge Menschen gefördert werden und erleben können, was man bewirken kann, wenn man Gott an seinem Arbeitsplatz bewusst mitwirken lässt.